Dieses Glossar enthält Definitionen und kurze Erläuterungen sowie Literaturhinweise zu Schlüsselbegriffen aus dem Bereich der Begabungs- und Leistungsförderung, die für die Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Projekt "Leistung macht Schule" eine tragende Rolle spielen. Darüber hinaus werden auch für den Projektkontext relevante Eigennamen erklärt. Autorinnen und Autoren sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsverbunds LemaS. Das Glossar ist alphabetisch sortiert und wird regelmäßig aktualisiert. 

  • Indikatoraufgaben/ Indikatoraufgaben-Test (mathematikspezifischen Begabungen)

    Indikatoraufgaben dienen dem Erkennen mathematikspezifischer Begabungsmerkmale. Sie sind größtenteils relativ offene und komplexe Problemaufgaben, mit denen mathematisch-produktive Lerntätigkeiten initiiert werden. Sie ermöglichen ein quantitatives Erfassen und Auswerten von Leistungen.

    Indikatoraufgaben sind halbstandardisiert, weil folgende Gütekriterien prinzipiell gewährleistet sind: 

    • die Objektivität bzgl. der Durchführung, Auswertung und z.T. Interpretation der Ergebnisse; 
    • die inhaltliche Validität (die Eignung des Instruments bzgl. der Zielsetzung) sowie 
    • z.T. die Reliabilität (die Zuverlässigkeit des Erfassens bestimmter Merkmale), die jedoch nicht statistisch geprüft bzw. abgesichert sind. 

    Die Gesamtheit der Indikatoraufgaben, mit denen Qualitätsniveaus bzgl. aller wesentlichen mathematikspezifischen Begabungsmerkmale erfasst werden können, wird als „Indikatoraufgaben-Test“ bezeichnet. Der „Test“ ist jedoch kein standardisierter (und kein normierter) Test. Bisher sind Indikatoraufgaben-Tests zum Erfassen mathematischer Begabungen für fünf- bis siebenjährige (Käpnick u.a., 2020), für neun- und zehnjährige (Käpnick, 2001) sowie für elf bis dreizehnjährige Kinder (Käpnick u.a., 2021) entwickelt worden.

    Weiterführende Literatur:

    Käpnick, F. (2001). Mathe für kleine Asse. Handbuch für die Förderung mathematisch interessierter und begabter Dritt- und Viertklässler. Berlin: Volk und Wissen.

    Käpnick, F. (Hrsg.), Fuchs, M., Makl-Freund, B., Mürwald-Scheifinger, E. & Spreitzer, Ch. (2020). Mathe-Asse in der ersten Klasse. Begabungen früh erkennen und fördern: ein Leitfaden mit Indikatoraufgaben und Beobachtungsbögen. Hamburg: AOL-Verlag.

    Käpnick, F. (Hrsg.), Auhagen, W., Benölken, R., Fuchs, M., Girard, P., Körkel, V., Ohmann, Y., Schreiber, L. & Sjuts, B. (2021). Forschen und Knobeln: Mathematik - Klasse 5 und 6. Vielfältige Aufgaben zu zentralen Lehrplanthemen mit didaktischer Anleitung und Lösungshinweisen. Hamburg: AOL-Verlag (geplanter Erscheinungstermin: 1.8.2021). 

  • Individualisierung / individuelle Förderung

    Individualisierung / individuelle Förderung ist ein zentraler pädagogischer Denk- und Handlungsanspruch, der sich aus der Diversität der Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse sowie den vielfältigen Begabungen und Interessen der Schülerinnen und Schüler ergibt. Übergeordnetes Ziel aller Maßnahmen der individuellen Förderung ist es, die Leistungspotenziale aller Lernenden bestmöglich zur Entfaltung zu bringen sowie gleichzeitig ein Höchstmaß an sozialer Teilhabe für alle Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen.

    Individuelle Förderung wird als zyklischer, kumulativ verlaufender und dynamischer Prozess aus diagnosebasierter Förderung und förderbasierter Diagnose verstanden. Entsprechend folgt die Umsetzung dem methodisch-didaktischen Grundsatz der Sequenzialität, d.h. die Planung, Organisation und Durchführung verläuft entlang eines Dreischritts aus Diagnose, Förderung und Evaluation. 

    Zur bestmöglichen Gestaltung individueller Lernprozesse und Entwicklung persönlicher Leistungspotenziale ist die systematische Anpassung des schulischen Lernangebotes an die diagnostizierten individuellen Lernbedürfnisse der Schülerinnen und Schüler erforderlich. Umgesetzt wird individuelle Förderung durch «makro-adaptive» Anpassung der Unterrichtsplanung und -gestaltung an die diagnostizierten Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler oder als «mikro-adaptives» Handeln in konkreten Lehr-Lern-Situationen (Dumont, 2018). Eine systematische pädagogische Diagnostik ist Grundlage einer gezielten individuellen Förderung der einzelnen Schülerinnen und Schüler im Sinne eines proaktiven Umgangs mit Heterogenität. Es bedarf Lernumgebungen, in denen Schülerinnen und Schüler mit individuellem Förderbedarf oder individuellen Lernschwerpunkten ihre Stärken entfalten und ihre Schwierigkeiten kompensieren können. Demnach richtet sich individuelle Förderung gleichermaßen an (potenziell) leistungsstarke Schülerinnen und Schüler etwa mit besonderen Begabungen als auch leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler etwa mit speziellen Beeinträchtigungen oder aus benachteiligten Lagen im Sinne der inklusiven Bildung.

    Letztlich bedarf individuelle Förderung einer gezielten Adaptation des unterrichtlichen Forder-Förder-Angebotes an die diagnostizierten personalen Forder-Förder-Bedarfe mit dem Ziel einer optimalen (Weiter-)Entwicklung individueller Fähigkeits- und Persönlichkeitspotenziale aller Schülerinnen und Schüler. Damit werden Forderungen aufgegriffen, die aus den Befunden der internationalen Schulvergleichsstudien (z.B. PISA-Studien, TIMSS, IGLU, Bildungsevaluation) resultieren, sodass individuelle Förderung mittlerweile in den Schulgesetzen aller Bundesländer verankert ist.

    Individuelle Förderung umfasst alle Handlungen von allen am Lehr-Lern-Prozess beteiligten schulischen und außerschulischen Akteuren und verfolgt den Anspruch, alle lehr- und lernrelevanten, intra- und interindividuellen sowie gruppenbezogenen Differenzlinien zu berücksichtigen. Die Planung, Organisation und Durchführung von individueller Förderung ist zudem verbunden mit einer Reihe von allgemeinen sowie spezifischen Herausforderungen, wie z.B. Fragen des Workloads auf Seiten der Lehrpersonen oder Fragen der Lernvoraussetzungen auf Seiten der Lernenden. Hierfür bieten u.a. Ansätze der Personalisierung einen schulpädagogischen Handlungs- und Orientierungsrahmen.

    Weiterführende Literatur:

    Fischer, C. (2014). Individuelle Förderung als schulische Herausforderung. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung. 

    Helmke, A. (2017). Lehrerprofessionalität und Unterrichtsqualität (7. Auflage). Seelze-Velber: Klett; Kallmeyer.

    Herbig, C. (2020). Individuelle Förderung durch Personalisierung: Zum bildungsgerechten Umgang mit Vielfalt am Gymnasium. In: C. Fischer et al. (Hrsg.), Begabungsförderung: Individuelle Förderung und Inklusive Bildung, Bd. 10: Begabungsförderung. Leistungsentwicklung. Bildungsgerechtigkeit. Für alle! Beiträge aus der Begabungsförderung (S. 85-95). Münster [u.a.]: Waxmann.

    Klieme, E. & Warwas, J. (2011). Konzepte der individuellen Förderung. Zeitschrift für Pädagogik, 6, 805–818.

    Solzbacher, C., Behrensen, B., Sauerhering, M. & Schwer, C. (2012). Jedem Kind gerecht werden?: Sichtweisen und Erfahrungen von Grundschullehrkräften. Praxiswissen Unterricht. Köln: Carl Link.

  • Inklusive Begabungs- und Begabtenförderung (IBBF)

    Inklusive Begabungs- und Begabtenförderung (IBBF) wird unterschieden von separativen oder integrativen Formen und bezeichnet vom Prinzip her ein gemeinsames Lernen aller Kinder und Jugendlichen unter Berücksichtigung ihrer Diversität und Lern- und Leistungsheterogenität. 

    Dabei wird auf eine vorgängige Einteilung in spezifische Kategorien, wie etwa hochbegabt, durchschnittlich oder besonders förderbedürftig, verzichtet. Grundlage ist die pädagogische Orientierung an der Person des einzelnen Kindes und Jugendlichen. Um deren Potenziale, Interessen und Leistungsstärken bestmöglich zu erkennen und zu fördern (diagnosebasierte Förderung), sind inhaltlich und strukturell differenzierte sowie diagnosebasierte und förderorientierte Lehr-Lernsettings in jedem Unterricht und in allen Schulen (auch unter Einbezug des lokalen, regionalen oder digitalen Umfelds) erforderlich. 

    Im Unterschied zur IBBF werden unter separierter Begabtenförderung Parallelstrukturen zum Regelunterricht verstanden, wie etwa eigene Klassen und Schulen für kognitiv besonders begabte Schülerinnen und Schüler und solche mit getesteter Hochbegabung. Dabei geht es um getrenntes Lernen im Rahmen einer äußeren oder auch schulinternen Differenzierung in (vermeintlich) homogenen Gruppen (»ability grouping«) entweder in eigenen Schulen oder Klassen. Aus soziologischer Sicht wird insbesondere die soziale Ungleichheit bei der Zusammensetzung separierter (Hoch-)Begabteneinrichtungen kritisiert. 

    Als integrativ wird die Eingliederung von hochbegabt getesteten oder besonders begabten Kindern und Jugendlichen in den Regelunterricht bezeichnet. Beide Ansätze, Separation wie Integration, gehen mit einer vorgängigen Kategorisierung und Gruppierung von Schülerinnen und Schülern nach bestimmten Merkmalen, in diesem Fall Hochbegabung oder besondere Begabung, einher. 

    Vielfach existieren auch Mischformen zwischen separierten und integrativen Formen der Begabungs- und Begabtenförderung in Schulen. Separierte Hochbegabtenklassen können den Charakter von Modell- oder Laborklassen haben, sofern in ihnen unter gewissen Sonderbedingungen (z. B. kleinere Klassengröße, zusätzliches Stundendeputat) spezifische Unterrichts-, Beratungs- und Begleitungsformen mit dem Ziel der Übertragung auf alle Klassen erprobt werden. 

     
    Weiterführende Literatur:

    Kaiser, M., Seitz, S. (2020). Zur Entwicklung leistungsfördernder Schulkulturen. In: C. Fischer et al.(Hrsg.): Begabungsförderung. Leistungsentwicklung. Bildungsgerechtigkeit. Für alle! Beiträge aus der Begabungsforschung (S. 207-222). Münster: Waxmann.

    Weigand, G.¸ Kaiser, M. (2021): Separativ oder integrativ? Inklusive Begabungs- und Begabtenförderung. In: V. Müller-Oppliger, G. Weigand (Hrsg.): Handbuch Begabung (S. 290-301). Weinheim/Basel: Beltz.

    Weigand, G. (2014). Begabung und Person. In: G. Weigand, A. Hackl, V. Müller-Oppliger & G. Schmid (Hrsg.): Personorientierte Begabungsförderung. Eine Einführung in Theorie und Praxis (S. 26-36). Weinheim: Beltz.

  • Inspiring practice

    In Abgrenzung von einer best practice zielt die inspiring practice weniger auf das Zeigen eines vermeintlich vorbildlichen Unterrichtshandelns, sondern auf die Vermittlung von Wissen, Erkenntnissen und Erfahrungen anhand exemplarisch ausgewählter Situationen schulischer Praxis. Dabei werden gelungene Beispiele ebenso bedacht wie Komplikationen und Misserfolge. 

    In Verschränkung einer konzeptionell-analytischen mit einer reflexiv-praktischen Perspektive geben Lehrpersonen, Schulteams und Kollegien Einblick in konkrete Herausforderungen, Lösungsansätze und Umsetzungsmöglichkeiten, um andere schulische Akteure zu Reflexion und Austausch sowie zu einem jeweils adaptiven Transfer anzuregen. Für den Transfer inspirierender Praxis bieten sich Vignetten von videographierten Unterrichtssequenzen ebenso an wie ausführliche Unterrichtsreflexionen, die auch für eine vertiefte Netzwerkarbeit genutzt werden können.
    Weiterführende Literatur:

    Kammer, K. (2014). Fallbasiertes Lernen mit Unterrichtsvideos in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. BEITRÄGE ZUR LEHRERINNEN- UND LEHRERBILDUNG, 32 (2), 164-175. Verfügbar unter: https://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=13863

    Sammons, P., Kington, A., Lindorff-Vijayendran, A. and Ortega, L. (2014). Inspiring teachers: perspectives and practices. Reading: Education Development Trust. Verfügbar unter: https://www.educationdevelopmenttrust.com/EducationDevelopmentTrust/files/b0/b0be9e0c-94b8-4e3a-85a1-df1c71b17712.pdf. 

    Weinert, F. E./Helmke, A. & Schrader, F.-W. (1992). Research on the model teacher and the teaching model: Theoretical contradiction or conglutination? In F. Oser, A. Dick & J. L. Patry J. (eds.), Effective and responsible teaching: The new synthesis ( p. 249-260). San Francisco: Jossey-Bass Inc.

  • Intelligenz

    Intelligenz umfasst allgemeine und spezifische kognitive Fähigkeiten, die ermöglichen mittels des eigenen Denkens etwas zu verstehen, zu lernen oder Probleme zu lösen.

    Zur Intelligenz gehören viele unterschiedliche Denkfähigkeiten. Manche werden beim Denken immer benötigt, sind also sehr allgemein – wie zum Beispiel das Erkennen von Ähnlichkeiten und Unterschieden. Andere werden nur bei spezifischen Anforderungen benötigt – wie zum Beispiel die Fähigkeit, Gegenstände in der Vorstellung rotieren zu können. Moderne Intelligenzmodelle ordnen daher diese verschiedenen Fähigkeiten hierarchisch nach Generalität an. An der Spitze der Hierarchie steht die allgemeine Intelligenz, die bei jeder Denkleistung eine Rolle spielt und auf den unteren Hierarchieebenen werden spezifischere Fähigkeiten angesiedelt. In Intelligenzforschung und Diagnostik werden typischerweise folgende Fähigkeiten betrachtet: die allgemeine Intelligenz; verbale, numerische und figural-räumliche Fähigkeiten; logisch-schlussfolgerndes Denken; die Geschwindigkeit, mit der Informationen verarbeitet werden können; Konzentrationsfähigkeit; Lerneffizienz; das vorhandene Wissen; die Fähigkeit, Informationen kurzzeitig im Gedächtnis zu behalten und zu nutzen (sog. Arbeitsgedächtnis).Interessanterweise hängen all diese Fähigkeiten positiv zusammen. Wer also zum Beispiel Gegenstände in der Vorstellung gut rotieren lassen kann, lernt auch schneller und kann sich besser konzentrieren. Aber nicht immer sind bei einer Person alle Denkfähigkeiten gleich stark; es können sich auch individuelle Stärken und Schwächen zeigen, die sich in Intelligenzprofilen abbilden lassen. Ausgeprägte Profile mit individuellen Stärken und – im Vergleich dazu gesehen – Schwächen sind bei hochintelligenten Personen eher anzutreffen als bei durchschnittlich intelligenten Personen.Intelligenz hängt positiv mit Leistungen in allen Lebensbereichen zusammen. Die Intelligenzentwicklung von Schülerinnen und Schülern kann durch Bildungsangebote, kognitiv aktivierenden Unterricht oder die Förderung von Lernengagement gefördert werden.Weiterführende Literatur:

    Gnas, J., Mack, E., Matthes, J. & Preckel, F. (2023). Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung: verstehen – erkennen – fördern. UTB Psychologie für Lehramtsstudierende. Paderborn: Brill | Schöningh.

    Neubauer, A. C. & Stern, E. (2007). Lernen macht intelligent. Warum Begabung gefördert werden muss (2. Aufl.). München: DVA Verlag.

    Ritchie, S. J. (2015). Intelligence: All that matters. London, UK: John Murray Press.

    Rost, D. H. (2013). Handbuch Intelligenz (1. Aufl.). Weinheim: Beltz.